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Sprüche und Gedichte über die Ostsee, Nordsee und über die Küste
- Christian Morgenstern
- Clara Müller-Jahnke
- Conrad Ferdinand Meyer
- Else Galen-Gube
- Ernst Scherenberg
- Friederike Kempner
- Gerrit Engelke
- Hermann Allmers
- Joachim Ringelnatz
- Johann Wolfgang von Goethe
- John Henry Mackay
- Karl Mayer
- Max Dauthendey
- Nikolaus Lenau
- Otto Weddigen
- Paul Boldt
- Rainer Maria Rilke
- Sigmund Schott
- Stine Andresen
- Theodor Däubler
- Theodor Storm
Erinnerung an die Ostsee
Nach sanftem Steigen steh ich oben!
Was ragt denn dort so steil erhoben?
Wie blaut dort fern – doch so gerade? –
Ein lang Gebirg vor meinem Pfade!
Gebirg? die Augen muss ich reiben:
Wie soll den Anblick ich beschreiben?
Nicht Berge sind’s, wovon ich spreche;
Nie sah ich diese Pracht von Fläche.
Die hohe See! Des Wortes Wahrheit
Dringt mir an’s Herz mit lichter Klarheit.
Das Meer, das blaue, still besonnte,
Rafft mich empor zum Horizonte.
Karl Mayer (1786 – 1870)
Ruhig sind des Meeres Wogen,
Heißer wird der Sonne Glut,
Ferne senkt der Wolken Bogen
Sanft sich in die nasse Flut.
Hingestreckt am Meeresstrande,
Atm‘ ich ein den salz’gen Duft;
Kinder schaufeln in dem Sande,
Mücken schwirren in der Luft.
Fische steigen aus dem Grunde
An die Flache bald empor;
Weiße Perlen in dem Munde
Lugt ein Mägdlein dort hervor.
Sinnt und jetzo läßt sie gleiten
In den Sand ein rotes Buch,
Und ich weiß das Spiel zu deuten
Und das Herz ihr lauter schlug.
Schnell spring‘ ich auf meine Füße,
Streiche mir zurück das Haar;
Und indem ich höflich grüße,
Reich‘ ich ihr die Lieder dar.
Dankend nimmt sie hin ihr Eigen,
Und es spinnt sich Wort an Wort;
Erst als sich die Strahlen neigen,
Huscht‘ die kleine Nixe fort.
Otto Weddigen (1851 – 1940)
Die Sonne will sterben. Es trübt sich mein Blick.
Die Seele ahnt sehnend ihr künftig Geschick.
Es taucht hinter Wolken die strahlende Glut
Des sterbenden Lichtes in schlummernde Flut.
Wie schön ist des Glutballs fliegender Tod!
Die Ränder der Wolken er rötlich umloht,
Die dämmernden Höhen in Purpur er taucht,
Die schimmernden Wellen sein Kuss überhaucht . . .
Da stirbt in den Wassern die schweigende Pracht,
Der Himmel erlischt und bedeckt sich mit Nacht.
Mein Herz ist von bebender Wehmut geschwellt:
Ich sah dort versinken – die Heimat der Welt!
John Henry Mackay (1864 – 1933)
Zerriss’nen Segel’s treibt er dort,
Der Schooner, in bewegter See.
Halloh, halloh! — Kein Mann an Bord,
Auf Deck und Raaen steifer Schnee.
Im Raum ein Leck, das Wasser hoch.
Zerschellt am Taue schleppt das Boot,
Die Mannschaft sprang hinein, jedoch
Ihr nach behender noch der Tod.
Daheim, daheim, wie freut
Das Weib sich, und die Kinder mit,
Daß bald herein, vielleicht schon heut,
Der Vater tritt.
Sie ahnen nicht, warum
Erschreckt die Herdesflamme weht
Und daß ein Geist, betrübt und stumm,
Daneben steht.
Sigmund Schott (1818 – 1895)
Wie grüßt so unermessen
Die See im Sonnenglanz,
Wie furcht der Kiel so sicher
Durch luft’gen Wellentanz!
Die Kraft des freien Bürgers
Hat Mast an Mast gefugt,
Von dem der Hansa Zeichen
In alle Welt gelugt.
Was aber schwellt die Wimpel
So freudig heut und hehr?
Das deutsche Reich ist unser –
Und unser ist das Meer!
Nicht trifft uns wie vor Zeiten
Der fremden Völker Hohn,
Heut schützt die deutsche Flagge
Des Landes fernsten Sohn.
Kühn durch des Weltmeers Weiten
Schifft stolzer Segler Schwarm,
Und jede Unbill ahndet
Des Reiches Eisenarm.
Drum hoch die deutsche Flotte
Für Handel und für Krieg!
Drum hoch die deutsche Flagge
In Sonne, Sturm und Sieg!
Ernst Scherenberg (1839 – 1905)
Allgemach
Schied der Tag;
Seiner Fackel letztes Glimmen
Will am Horizont verschwimmen.
Regungslos,
Hehr und groß
Liegt das Meer im Silberschleier,
Schön geschmückt zur Abendfeier.
Zaubrisch hebt
Duftumwebt
Sich die Hallig aus den Fluten,
Überstrahlt von Abendgluten.
einsam her
Über’m Meer
Streicht die Möwe, hin und wieder
Netzend leicht ihr Schneegefieder.
Über’m Watt
Dämmert’s matt,
Sa Fern am sichern Gehege.
Nebelflor
Wallt empor,
Webt sich zu gespenst’gen Schatten
Auf der Heide braunen Matten.
Und man hört,
Aufgestört
Von des Seewinds bangem Flüstern,
Noch das Riedgras leise knistern.
Drüben sacht
Senkt die Nacht
Schon die schwarzen Rabenflügel
Nieder auf die Dünenhügel.
Still und stumm
Wird’s ringsum;
Nur in Tönen, sanften, leisen
Singt das Meer die ew’gen Weisen.
Stine Andresen (1849 – 1927)
Ich stehe in Frieden am silbernen Meer.
Die Stille verdeutlichen Silberdelphine.
Was unterdunkelt das heilvolle Schweigen?
Alles entzückt sich.
Götter, beschreitet ihr wieder die Höh’?
Das Mittelmeer bleibt und belacht seine Würde.
Sohn dieser Weihe, du solltest erbeben!
Horch und leide!
Theodor Däubler (1876 – 1934)
Herrlich schäumende Salzflut
im Morgenlicht,
die tiefen Bläuen
in weißen Stürzen auskämmend,
hin
über grünere Seichten
zur Küste stürmend –
aus – rollend dich nun,
die Felsen hochauf umleuchtend!
Metallgrün
stehen die runden rauschenden Büsche
vor deinen fernher schwärzlichen Böen,
und rötlich milchige Wolken
strecken sich lang
in den zärtesten Himmel
darüber.
Christian Morgenstern (1871 – 1914)
Grüß’ mir das Meer,
Silberne Wellen
Rauschen und schwellen,
Schön ist das Meer!
Grüß’ mir das Meer,
Golden es schäumt’,
Ob es auch träumet?
Tief ist das Meer.
Grüß’ mir das Meer,
Glücklich es scheinet
Ströme es weinet,
Groß ist das Meer.
Friederike Kempner (1828 – 1904)
Wir gehen am Meer im tiefen Sand
Wir gehen am Meer im tiefen Sand,
Die Schritte schwer und Hand in Hand.
Das Meer geht ungeheuer mit,
Wir werden kleiner mit jedem Schritt.
Wir werden endlich winzig klein
Und treten in eine Muschel ein.
Hier wollen wir tief wie Perlen ruhn,
Und werden stets schöner, wie die Perlen tun.
Max Dauthendey (1867 – 1918)
Der Morgen frisch, die Winde gut,
Die Sonne glüht so helle,
Und brausend geht es durch die Flut;
Wie wandern wir so schnelle!
Die Wogen stürzen sich heran;
Doch wie sie auch sich bäumen,
Dem Schiff sich werfend in die Bahn,
In toller Mühe schäumen:
Das Schiff voll froher Wanderlust
Zieht fort unaufzuhalten,
Und mächtig wird von seiner Brust
Der Wogendrang gespalten;
Gewirkt von goldner Strahlenhand
Aus dem Gesprüh der Wogen,
Kommt ihm zur Seit ein Irisband
Hellflatternd nachgeflogen.
So weit nach Land mein Auge schweift,
Seh ich die Flut sich dehnen,
Die uferlose; mich ergreift
Ein ungeduldig Sehnen.
Dass ich so lang euch meiden muss,
Berg, Wiese, Laub und Blüte! –
Da lächelt seinen Morgengruß
Ein Kind aus der Kajüte.
Wo fremd die Luft, das Himmelslicht,
Im kalten Wogenlärme,
Wie wohl tut Menschenangesicht
Mit seiner stillen Wärme!
Nikolaus Lenau (1802 – 1850)
Und Welle kommt und Welle flieht,
Und der Wind stürzt sein Lied,
Schaumwasser spielt an deine Schuhe
Knie nieder, Wandrer, ruhe.
Es wälzt das Meer zur Sonne hin,
Und aller Himmel blüht darin.
Mit welcher Welle willst du treiben?
Es wird nicht immer Mittag bleiben.
Es braust ein Meer zur Ewigkeit,
In Glanz und Macht und Schweigezeit,
Und niemand weiß wie weit –
Und einmal kommst du dort zur Ruh,
Lebenswandrer, Du.
Gerrit Engelke (1890 – 1918)
Tiefe Stille herrscht im Wasser,
Ohne Regung ruht das Meer,
Und bekümmert sieht der Schiffer
Glatte Fläche ringsumher.
Keine Luft von keiner Seite!
Todesstille fürchterlich!
In der ungeheuern Weite
Reget keine Welle sich.
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
Auf dem hohen Küstensande
Wandre ich im Sonnenstrahl;
Über die beglänzten Lande
Bald zum Meere, bald zum Strande
Irrt mein Auge tausendmal.
Aber die Gedanken tragen
Durch des Himmels ewig Blau
Weiter, als die Wellen schlagen,
Als der kühnsten Augen Wagen,
Mich zur heißgeliebten Frau.
Und an ihre Türe klink ich,
Und es rufr so süß: Herein!
Und in ihre Arme sink ich,
Und von ihren Lippen trink ich,
Und aufs neue ist sie mein.
Theodor Storm (1817 – 1888)
Vorüber die Flut.
Noch braust es fern.
Wild Wasser und oben
Stern an Stern.
Wer sah es wohl,
O selig Land,
Wie dich die Welle
Überwand.
Noch braust es fern.
Der Nachtwind bringt
Erinnerung und eine Welle
Verlief im Sand.
Rainer Maria Rilke (1875 – 1926)
Gern bin ich allein an des Meeres Strand,
Wenn der Sturmwind heult und die See geht hohl,
Wenn die Wogen mit Macht rollen zu Land,
O wie wird mir so kühn und so wonnig und wohl!
Die segelnde Möwe, sie rufen ihren Gruß
Hoch oben aus jagenden Wolken herab;
Die schäumende Woge, sie leckt meinen Fuß,
Als wüssten sie beide, wie gern ich sie hab‘.
Und der Sturm, der lustig das Haar mir zaust,
Und die Möw‘ und die Wolke, die droben zieht,
Und das Meer, das da vor mir brandet und braust,
Sie lehren mich alle manch herrliches Lied.
Doch des Lebens erbärmlicher Sorgendrang,
O wie sinkt er zurück, wie vergess‘ ich ihn,
Wenn die Wogenmusik und der Sturmgesang
Durch das hoch aufschauernde Herz mir ziehn!
Hermann Allmers (1821 – 1902)
Da weht von Süd ein sanfter Hauch
aus sonnenlichten Tagen;
die goldbelaubten Aeste dehnt
der Ahorn voll Behagen.
Kein Vogelsang, – kein Blütenduft, –
die weiche, warme Sommerluft
säuselt in allen Hagen.
Nun schaun sich schier verwundert an
die schweigenden Zypressen;
es ist, als habe der flüchtige Lenz
sein Lebewohl vergessen
und ginge noch einmal über das Feld,
die blasse, sommermüde Welt
an seine Brust zu pressen.
Durch nackte Zweige schweift der Blick
auf graue Wellenpfade:
die weißen Wasser tummeln sich
am träumenden Gestade;
sie flüstern und raunen wie Liebesgruß,
sie kosen und spielen um deinen Fuß,
leuchten und locken zum Bade.
Clara Müller-Jahnke (1860 – 1905)
Fern vom Strand, wenn an den Felsenklippen
scheidend, glühend-rot der Tag verglomm,
hauchen in die Dämmrung meine Lippen
still verträumt ein sehnsuchtszitternd: „Komm!“
Meine Blicke, die noch tränenfeuchten,
streifen hoffnungslos den öden Strand.
Stille rings! Die See, vom Meeresleuchten
überflutet, trägt ihr Prachtgewand.
Sinnend weil ich in dem Zauberlande,
bis der Vollmond küßt die schwüle Nacht,
träum, ich ruht in deinem Arm am Strande,
wachgeküßt von deiner Liebesmacht.
Else Galen-Gube (1869 – 1922)
Wolken, meine Kinder, wandern gehen
Wollt ihr? Fahret wohl! Auf Wiedersehen!
Eure wandellustigen Gestalten
Kann ich nicht in Mutterbanden halten.
Ihr langweilet euch auf meinen Wogen,
Dort die Erde hat euch angezogen:
Küsten, Klippen und des Leuchtturms Feuer!
Ziehet, Kinder! Geht auf Abenteuer!
Segelt, kühne Schiffer, in den Lüften!
Sucht die Gipfel! Ruhet über Klüften!
Brauet Stürme! Blitzet! Liefert Schlachten!
Traget glühnden Kampfes Purpurtrachten!
Rauscht im Regen! Murmelt in den Quellen!
Füllt die Brunnen! Rieselt in den Wellen!
Braust in Strömen durch die Lande nieder –
Kommet, meine Kinder, kommet wieder!
Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)
Die Winde sind von einem Möwen-Dutzend
Geschwänzt und schlagen durch die Luft, dumpf, pfeifend.
Und hart herrollend, seltsam vorwärtsgreifend,
Zerbraust das Meer, der Riffe Rücken putzend.
Es klatscht das Segel, patscht das Ruderblatt.
Die gleichen Wogen streifen, weichen vorn
Und fallen hinten, wo der Möwen Zorn
Sie schmäht, matt, hingemäht, ins glatte Schwad.
Dann steift der Wind. Er gibt die Brise doppelt
Und schmeißt die hellen Wasserhaufen steiler,
Wie ein Pikeur die Meute noch gekoppelt
Voll Gier losläßt; allein der starke Keiler
Stockt, steht, stößt einmal in die Runde
Entblößter Zahnreihn und zerfetzt die Hunde.
Paul Boldt (1885 – 1921)
Sie haben das mächtige Meer unterm Bauch
Und über sich Wolken und Sterne.
Sie lassen sich fahren vom himmlischen Hauch
Mit Herrenblick in die Ferne.
Sie schaukeln kokett in des Schicksals Hand
Wie trunkene Schmetterlinge.
Aber sie tragen von Land zu Land
Fürsorglich wertvolle Dinge.
Wie das im Winde liegt und sich wiegt,
Tauwebüberspannt durch die Wogen,
Das ist eine Kunst, die friedlich siegt,
Und ihr Fleiß ist nicht verlogen.
Es rauscht die Freiheit. Es riecht wie Welt. –
Natur gewordene Planken
Sind Segelschiffe. – Ihr Anblick erhellt
Und weitet unsre Gedanken.
Joachim Ringelnatz (1883 – 1934)